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“Glücksspiel-Survey 2021” – Keine Basis für evidenzbasierte Regulierung

“Glücksspiel-Survey 2021” – Keine Basis für evidenzbasierte Regulierung

Fürsprecher einer restriktiven Glücksspielregulierung verweisen oft auf den “Glücksspiel-Survey 2021”. Die Untersuchung des Instituts für interdisziplinäre Sucht- und Drogenforschung (ISD) und der Universität Bremen hatte unter anderem den Bundesdrogenbeauftragten motiviert, die Zahl pathologischer Spieler in Deutschland auf 1,4 Millionen zu schätzen und strenge Werbeverbote zu fordern. Jetzt zeigt ein Gutachten: Die Ergebnisse des Surveys sind statistisch nicht belastbar, genügen nicht den Grundanforderungen wissenschaftlichen Arbeitens und sollten daher keine Basis für evidenzbasierte Regulierungsentscheidungen sein.

Autorin des Gutachtens ist die Statistikerin Katharina Schüller; der Ordinarius für Wirtschafts- und Sozialstatistik der Universität Trier, Prof. Dr. Ralf Münnich, hat die Arbeit wissenschaftlich begleitet. Schüller ist Vorstandsmitglied der Deutschen Statistischen Gesellschaft, Münnich deren Vorsitzender. Auftraggeber des Gutachtens sind der Bundesverband deutscher Spielbanken (BupriS), der Deutsche Online Casinoverband (DOCV), der Deutsche Sportwettenverband (DSWV) und Die Deutsche Automatenwirtschaft (DAW).

Zahl der problematischen Spieler höchstwahrscheinlich erheblich überschätzt

Aufgrund einer Vielzahl von schweren Mängeln sei der Glücksspiel-Survey 2021 nicht geeignet, um auf seiner Grundlage evidenzbasierte Regulierungsmaßnahmen zu ergreifen, schreibt die Autorin. Denn die Maßstäbe für statistische Erhebungen, aus denen gesetzliche Maßnahmen abgeleitet werden, sollten höchsten Qualitätsstandards entsprechen, etwa den Richtlinien der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG). Das sei hier nicht der Fall. Aufgrund des mangelhaften Studiendesigns und zahlreicher Interpretations- und Ableitungsfehler sei die Zahl der Menschen mit Glücksspielproblemen höchstwahrscheinlich erheblich überschätzt worden.

Einige Kritikpunkte des Gutachtens am Glücksspiel-Survey im Überblick:

  • Der Glücksspiel-Survey sei nicht repräsentativ. Der Mix aus Telefon- und Online-Befragung mit einer sehr hohen Quote von Antwortverweigerern führe zu einer schlechten Datenqualität, sodass die Repräsentativität des Surveys für die Gesamtbevölkerung nicht gegeben sei.

  • Die Datenerhebung und -auswertung seien mangelhaft. Bei der Datenerhebung und -auswertung seien den Autoren schwere handwerkliche Fehler unterlaufen. Beispielsweise litten Online-Befragungen in der von den Autoren durchgeführten Form unter dem Selbstselektionsfehler, einer Form der willkürlichen Stichprobenziehung. Vereinfacht gesagt: Die untersuchte Person suche sich selbst aus, ob sie zur Stichprobe gehöre und verfälsche somit die Repräsentativität für die Gesamtbevölkerung. Weiter würden zufallsbedingte Schwankungen der erhobenen Ergebnisse von den Survey-Autoren nicht hinreichend kommuniziert und tendenziell unterschätzt. Die genutzten Gewichtungsverfahren seien ungeeignet.

  • Der Survey enthalte keine Datenbasis für Trends. Der Survey werde als Grundlage herangezogen, um einen vermeintlichen Anstieg gestörten Spielverhaltens in Deutschland zu belegen und Werbeverbote für Glücksspielangebote zu fordern. Das beruhe allerdings auf einer Täuschung: Der Survey treffe keine Aussagen über die Entwicklung problematischen Spiels, heißt es im Gutachten. Das Untersuchungsdesign lässt nur eine Momentaufnahme zu und kann als Querschnittsstudie auch künftig keine belastbaren Entwicklungen im Zeitverlauf darstellen.

  • Bis heute fehle eine Peer-Review. Bezüglich der Datenerhebung, der genutzten Fragebögen und Auswertungsmethoden bleibe der Survey intransparent. Auf Anfrage hätten die Survey-Autoren die Herausgabe der Rohdaten und genutzten Materialien verweigert. Damit verletzten sie nach den Ausführungen der Gutachterin die Grundsätze guter Wissenschaft. Eine Peer-Review des Surveys durch unabhängige Wissenschaftler zur Begutachtung der Qualität der Erhebung, wie es allgemein wissenschaftlich üblich ist, sei unerklärlicherweise ausgeblieben.

Statistiker erkennen die zahlreichen methodischen Mängel recht schnell. Den meisten Lesern vermittelt der Survey durch falsche Eindeutigkeit jedoch ein fehlerhaftes Bild. Im guten Glauben an die methodische Sorgfalt der Survey-Autoren werden sie durch mangelhafte wissenschaftliche Arbeit in die Irre geführt.

Katharina Schüller zeigt wissenschaftlich saubere Wege auf, wie zukünftige Erhebungen zur Glücksspielprävalenz und zu problematischem Glücksspiel methodisch aufgebaut werden sollten. Prof. Münnich und sie werden auf Basis dieses Gutachtens demnächst eine wissenschaftliche Arbeit über evidenzbasierte Politik in einer peer-reviewten Publikation veröffentlichen und stehen selbstverständlich für einen öffentlichen wissenschaftlichen Diskurs mit den Autoren des Glücksspiel-Surveys 2021 zur Verfügung.

In dieser für die Glücksspielregulierung wichtigen Frage benötigen wir eine fachlich korrekte Diskussionsgrundlage. Dafür ist die wissenschaftliche Kritik am Glücksspiel-Survey 2021 ein erster notwendiger Beitrag.


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